Psychische Gesundheit ist nicht nur Privatsache – DZPG sieht Verantwortung bei Arbeitgebern - Das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit
Pressemitteilung

Psychische Gesundheit ist nicht nur Privatsache – DZPG sieht Verantwortung bei Arbeitgebern

Die Zahlen sind hoch – und sie steigen immer weiter: 15 Prozent aller in Deutschland anfallenden Fehltage gehen auf das Konto seelischer Erkrankungen. Das bewirkt nicht nur individuelles Leid, sondern auch einen enormen wirtschaftlichen Schaden. Prof. Dr. Silvia Schneider, Sprecherin des Standorts Bochum-Marburg des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG), sieht einen großen Bedarf in der Betriebsmedizin: „Gerade von Arbeitgebern kann die seelische Gesundheit noch viel umfassender und gezielter gefördert werden.“ Laut Schneider haben in den vergangenen Jahren auch die zum Teil einschneidenden Veränderungen in der Arbeitswelt zu den steigenden Zahlen von psychischen Erkrankungen beigetragen. Unter anderem treibe der Fachkräftemangel die Ausfälle wegen seelischer Probleme nach oben; aber auch Homeoffice-Regelungen können zum Risikofaktor werden. Die Forschung am DZPG ist dem Problem bereits auf der Spur.

Der Tag der Arbeit ist längst nicht nur ein „Feier“-tag. Denn neben anderen Faktoren können auch im Berufsleben Auslöser liegen, die krank machen. Und das sowohl somatisch als auch psychisch. Besonders drängend ist dieses Problem nicht nur durch das individuelle Leid der Betroffenen, sondern auch durch die Krankheitsdauer, die mit durchschnittlich 36 Tagen dreimal so hoch ist wie bei somatischen Erkrankungen mit zwölf Tagen, wie Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums belegen. „Forschung und Medizin haben sich lange auf die Faktoren Resilienz und Coping bei den Beschäftigten konzentriert., aber das greift zu kurz: Die Verantwortung für menschengerecht gestaltete Arbeit liegt bei den Arbeitgebern. Hier können Fachärzte für Arbeitsmedizin wertvolle Beiträge leisten, das muss essenzieller Bestandteil in der Betriebsmedizin sein“, so Schneider.

Faktoren, die seelisch krank machen: Druck, Einsamkeit und Fachkräftemangel

„Natürlich kann Arbeit auch Ressource sein“, sagt Prof. Dr. Martin Schütte von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), einer Partnerinstitution des DZPG. Er ist Wissenschaftlicher Leiter des BAuA-Fachbereichs „Arbeit und Gesundheit“ und forscht zum Thema Analyse von Arbeitsbedingungen und deren Effekte auf die mentale Gesundheit. „Arbeit hat auch einen stabilisierenden Einfluss auf die psychische Gesundheit“, so Schütte.

Aber ebenso können bei der Arbeit Gefahren für die Seele liegen. Die WHO fasst diese Belastungsfaktoren knapp zusammen: Arbeitsumgebungen, die von Diskriminierung und Ungleichheit geprägt sind, gehören ebenso dazu wie übermäßige Arbeitsbelastung, geringe Kontrolle und Jobunsicherheit. Silvia Schneider sieht in diesem Zusammenhang auch sehr junge Entwicklungen als Belastung: „Der technologische Fortschritt bringt nicht nur Arbeitserleichterung, sondern auch Arbeitsverdichtung und oft komplexere Aufgaben. Das kann Druck erzeugen. Das Gleiche gilt für die Flexibilisierung der Arbeit. Homeoffice-Regelungen können Einsamkeit und Isolation fördern; das ist ein erheblicher Risikofaktor für Depressionen, wir untersuchen auch das im DZPG.“

Auch Sonja Haase, Erfahrungsexpertin und Mitglied im Trialogischen Zentrumsrat des DZPG, sagt: „Die Verknüpfung von digitalen Tools und die daraus resultierenden Folgen wie ständige Erreichbarkeit auf mehreren Wegen und Kanälen können Stress bewirken.“

Prof. Harald Baumeister vom DZPG-Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm erläutert: „Mit New-Work-Ansätzen ergeben sich Fragen von Zugehörigkeit und Einsamkeit als Herausforderung. Eines unter vielen Forschungsprojekten des DZPG zielt daher auch auf das Zusammengehörigkeitsgefühl im Arbeitskontext als möglicher Schutzfaktor.“

Fachkräftemangel setzt Belegschaften unter Druck

Beim Stichwort Arbeitsverdichtung spiele auch der steigende Fachkräftemangel eine große Rolle, sagt Silvia Schneider: „In Berufsgruppen wie zum Beispiel dem Gesundheitssektor oder öffentlichen Dienst sind die Mitarbeitenden durch die Inhalte ihrer Arbeit ohnehin schon höherer psychischer Belastung ausgesetzt. In den vergangenen Jahren ist eine enorme Arbeitsverdichtung hinzugekommen. Denn in Kliniken, an Schulen und in Behörden fehlen Arbeitskräfte; das steigert die Gefahr seelischer Erkrankungen wie Erschöpfungszuständen oder Depressionen für alle.“ 

Psychische Störungen Krankschreibungsgrund Nummer 2

Der jüngste Report der Techniker Krankenkasse belegt, wie drängend das Problem ist: Die mit Abstand häufigste Ursache von Krankschreibungen bildeten demnach auch 2023 wieder Krankheiten des Atmungssystems. „Depressive Episoden“ belegten aber bereits Rang zwei der Tabelle – noch vor Rückenschmerzen.

Arbeitgeber können viel für die seelische Gesundheit der Angestellten tun

Dabei gibt es wirksame Maßnahmen, um psychische Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz zu verhindern, die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz zu schützen und zu fördern sowie Arbeitnehmer mit psychischen Erkrankungen zu unterstützen. „Prävention und die Förderung der psychischen Gesundheit als Teil eines nachhaltigen betrieblichen Gesundheitsmanagements sind von enormer Bedeutung. Die Gesundheit der Beschäftigten trägt maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen bei. Während das bei somatischen Krankheiten schon gängiges Wissen ist, müssen Arbeitgeber für die psychische Gesundheit noch weiter sensibilisiert werden“, so Schneider. Und Schütte ergänzt: „Neben der Primärprävention, das heißt der menschengerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen, sind sekundär- und tertiärpräventive Ansätze wichtig, wie zum Beispiel eine nachhaltige Rückkehr in den Betrieb zu erreichen. Hier sind niedrigschwellige Angebote hilfreich, etwa eine psychosomatische oder psychotherapeutische Sprechstunde, um auftretende Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit frühzeitig erkennen zu können.“

Die Forschung hat das Thema im Blick

Martin Schütte betont: „In diesem Kontext bietet das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit die Möglichkeit, das Thema Arbeit in den therapeutischen Prozess einzubeziehen. Damit könnten umfassendere Therapiemöglichkeiten entstehen. Das DZPG kann hier weiterhin sensibilisieren, welche Arbeitsbedingungen Einfluss auf die psychische Gesundheit und für den therapeutischen Prozess Relevanz haben. Psychosoziale Faktoren wie Führung, soziale Unterstützung am Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Entwicklungsmöglichkeiten bei der Arbeit oder die Arbeitsmenge müssen immer mitgedacht werden. Das DZPG kann somit evidenzbasierte Informationen zur psychischen Gesundheit für Wissenschaft, Praxis und Politik liefern."

Woche der Seelischen Gesundheit zielt auf das Arbeitsleben

Die Relevanz des Themas zeigt auch die Woche der Seelischen Gesundheit 2024. Sie findet vom 10. bis 20. Oktober unter der Schirmherrschaft des Bundesministers für Gesundheit Prof. Dr. Karl Lauterbach statt und trägt das Motto „Hand in Hand für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz“. Dann informieren Selbsthilfeverbände, psychosoziale Einrichtungen und Initiativen des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit an über 100 Standorten mit einem breit aufgestellten Programm über psychische Belastungen am Arbeitsplatz, präventive Maßnahmen und Strategien zur Bewältigung. Den Auftakt in Berlin macht eine Veranstaltung im Kulturzentrum Pfefferberg am 10. Oktober. Trägerin des Aktionsbündnisses ist die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Informationen zur Woche der Seelischen Gesundheit 2024: https://www.seelischegesundheit.net/aktionen/aktionswoche/


Quellen
Gesundheitsreport 2024 – Arbeitsunfähigkeiten, Herausgeber: Techniker Krankenkasse, Unternehmenszentrale Hamburg, 22291 https://www.tk.de/resource/blob/2168508/ee48ec9ef5943d2d40dc10a76bedf290/gesundheitsreport-au-2024-data.pdf

https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/mental-health-at-work (Stand 26.4.2024)

BAuA (2017). Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Autor*innen: Isabel Rothe, Lars Adolph, Beate Beermann, Martin Schütte, Armin Windel, Anne Grewer, Uwe Lenhardt, Jörg Michel, Birgit Thomson, Maren Formazin


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