Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist nach wie vor weit verbreitet. In der Kriminalstatistik werden allerdings nur die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten und Tatverdächtigen erfasst. Ein erheblicher Teil der begangenen Straftaten bleibt unerkannt. Hier spricht man von einem sogenannten Dunkelfeld. Zudem ist nicht nur das Wissen über das Ausmaß des Missbrauchsgeschehens, sondern auch das Wissen über die sehr unterschiedlichen Tatkontexte und die jeweiligen Folgen des Missbrauchs unzureichend.
Ausmaß und Tatkontexte
Das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG), das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm sowie das Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg starten deshalb gemeinsam eine repräsentative nationale Dunkelfeldstudie zur Häufigkeit, dem situativen Kontext und den Folgen sexualisierter Gewalt zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen.
„Eine deutschlandweite Dunkelfeldstudie, die diese Themen in einer hinreichend großen und repräsentativen Stichprobe untersucht, ist überfällig“, sagt Prof. Dr. Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, der die Studie koordiniert. Den Wissensstand zu sexualisierter Gewalt in Bezug auf Häufigkeiten, den situativen Kontext und die Folgen für Betroffene zu erweitern, ist gerade auch in Zeiten multipler Krisen (Corona, Krieg in der Ukraine etc.), die zu einer „Mental Health Crisis“ (EU-Parlament) geführt haben, von besonderer Bedeutung, da erlebte frühe Belastungen auch entscheidend für den Umgang mit diesen Krisen sind.
Eigene Mittel aufgewendet
Neben den Mitteln der beteiligten Institutionen konnten Fördermittel eingeworben werden. So wird die Studie von der WEISSER RING Stiftung, dem Verein Eckiger Tisch und dem Bundesverband des Kinderschutzbunds unterstützt. Die Untersuchung wird gemeinsam mit dem Umfrageinstitut Infratest dimap durchgeführt.
Der Kontakt zu den ausgewählten Personen erfolgt auf schriftlich-postalischem Weg. Diese können individuell entscheiden, ob sie einen Papier-Fragebogen oder den Fragebogen auf einer Webseite online ausfüllen möchten. Insgesamt findet die Befragung in 92 auf Basis einer Zufallsstichprobe ausgewählten Gemeinden in Deutschland statt, die ein repräsentatives Abbild der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter zwischen 18 und 59 Jahren sicherstellt. In jeder Gemeinde werden jeweils 100 Bürgerinnen und Bürgern Fragebögen zugeschickt. Die Daten werden in anonymisierter Form von den beteiligten Forschungsinstituten ausgewertet.
Über das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG)
Das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) forscht an neuen Methoden zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen. Das Ziel ist es, diese schnellstmöglich den Menschen zugutekommen zu lassen. 27 Forschungseinrichtungen an sechs Standorten in Deutschland bündeln hierzu ihre Expertise. Das ZI koordiniert einen der sechs Partnerstandorte. Die anderen Standorte sind Berlin-Potsdam, Bochum-Marburg, Halle-Jena-Magdeburg, München-Augsburg und Tübingen. Das Forschungsprogramm wurde gemeinsam mit Experten und Expertinnen aus Erfahrung, also mit Patienten und Angehörigen, entwickelt und bezieht sie in allen Phasen der Forschung mit ein. In der Aufbauphase des DZPG (2023 bis 2025) liegt der Fokus auf der Früherkennung und Prävention psychischer Erkrankungen, dem Aufbau gemeinsamer Organisations- und Forschungsinfrastrukturen sowie der Vernetzung der Standorte. Das ZI in Mannheim, die Universität Heidelberg und die Universität Ulm bilden in diesem Kontext den gemeinsamen Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm („ZIHUb“), auf dessen Initiative diese Dunkelfeldstudie als exemplarisches, anwendungsbezogenes Projekt gefördert wird. www.dzpg.org/
Über das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI)
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Die Kliniken des ZI gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch kranke Menschen aller Altersstufen können am ZI auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlungen vertrauen. Über psychische Erkrankungen aufzuklären, Verständnis für Betroffene zu schaffen und die Prävention zu stärken ist ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas. Das ZI ist institutionell mit der Universität Heidelberg über gemeinsam berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Fakultät Mannheim verbunden und Mitglied der Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim (www.health-life-sciences.de).
Über die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm
Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm hat einen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkt im Bereich des Kinderschutzes und der Versorgung psychisch traumatisierter Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien. Der Ärztliche Direktor der Klinik ist Sprecher des Zentrums für Traumaforschung am Universitätsklinikum Ulm, Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin in Baden-Württemberg (Com.Can). Er leitet den Kompetenzbereich Prävention psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk medizinische Prävention Baden-Württemberg. Er ist Initiator und Leiter der Medizinischen Kinderschutzhotline, welche von Fachkräften in medizinischen Kinderschutzfällen rund um die Uhr erreicht werden kann und hat mit seinem Team zahlreiche E-Learning Programme zum Kinderschutz und zur Traumaversorgung entwickelt (vgl. www.elearning-kinderschutz.de).
Über das Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg
Die Forschungsschwerpunkte des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg sind Jugendkriminalität und Jugendstrafrecht, Viktimologie, Kriminalprävention sowie empirische Strafverfahrens- und Sanktionsforschung. Das Institut hat an den Untersuchungen zur sexuellen Gewalt in der Katholischen Kirche (MHG-Studie) und in der Evangelischen Kirche (ForuM-Studie) mitgewirkt. Das Institut ist an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg angesiedelt. Die 1386 gegründete Ruperto Carola ist eine international ausgerichtete Forschungsuniversität, deren Fächerspektrum die Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften sowie die Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften einschließlich der Medizin umfasst.
Über die WEISSER RING Stiftung
Die selbständige WEISSER RING Stiftung wurde am 11. April 2012 gegründet. Die gemeinnützige und mildtätige Stiftung fördert die Hilfe für Opfer von Straftaten, die Kriminalprävention, die Forschung auf dem Gebiet der Kriminologie und Viktimologie sowie die Förderung bürgerlichen Engagements. Den Vorsitz des Stiftungsvorstands hat Richard Oetker inne. Vorsitzender des Kuratoriums ist Dr. Patrick Liesching.
Über den Kinderschutzbund
Der Kinderschutzbund (DKSB) wurde 1953 in Hamburg gegründet und ist im Vereinsregister Berlin-Charlottenburg eingetragen. Heute engagieren sich über 15.000 Ehrenamtliche und 7.000 Hauptamtliche im Kinderschutzbund. Mehr als 50.000 Einzelmitglieder unterstützen durch ihre Beiträge die Kinderschutzarbeit vor Ort und bilden damit die Basis des größten Kinderschutzverbandes in Deutschland. Der Kinderschutzbund setzt sich für die Rechte aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland ein. Sein Ziel ist eine kinderfreundliche Gesellschaft, in der die geistige, psychische, soziale und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefördert wird.
Über „Eckiger Tisch“
Der gemeinnützige Verein „Eckiger Tisch“ vertritt die Interessen von Betroffenen und bietet Beratung, Orientierung und Unterstützung bei der Vernetzung an. Die Betroffeneninitiative wurde von Menschen gegründet, die an der Aufdeckung des sogenannten Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche 2010 entscheidend mitgewirkt hatten. Der Name des Vereins wurde in Kontrast zum damals von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Runder Tisch sexueller Kindesmissbrauch (RTsM) gewählt, an dem die Beteiligung von Betroffenen zunächst nicht vorgesehen war. Seit 2010 fordert die Initiative eine umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, Hilfen für die Betroffenen sowie eine angemessene Entschädigung.
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